Text im Katalog Regelwerke, 2020

Gudrun Knapp widmet sich in den letzten Jahren verstärkt der Zeichnung. In ihren abstrakten Arbeiten untersucht sie verschiedene übergeordnete Fragestellungen, die sich durch die Gegenüberstellung von Gegensätzen, wie zum Beispiel dem Wechsel von dynamischen Bewegungen und den Momenten der Ruhe, ergeben. Ein anderer Aspekt ist das Verhältnis zwischen Fülle und Leere, denn nur so können die Motive richtig zur Geltung kommen. Ergänzend lotet Gudrun Knapp die Möglichkeiten des Materials aus. Da sie überwiegend mit Schwarz auf weißem Papier arbeitet, wird die Balance zwischen Hell und Dunkel zu einem wichtigen Kriterium.

In der Regel arbeitet sie seriell, um sich intensiv mit spezielleren Aufgabenstellungen auseinandersetzen zu können. Zu Beginn der einzelnen Serien stellt die Künstlerin einige Regeln auf. Neben dem Format werden Ausgangs- und Zwischenpunkte bestimmt und die Bewegung wird festgelegt. Hauptsächlich kommen Kreise, Linien oder das Unendlichkeitszeichen zum Einsatz. Die sich wiederholenden Bewegungen können in Geschwindigkeit und Dynamik variieren, spiegeln aber jedes Mal die immerwährende Suche nach dem perfekten Kreis oder der perfekten Linie wider. Aus diesem Grund muss jede einzelne Linie, trotz der Wiederholung, erkennbar bleiben und genügend Raum zur Verfügung haben. Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, arbeitet die Künstlerin mit Tuschestiften, deren wechselnde Intensität zu Farbabstufungen führt, die von einem satten Schwarz bis zu einem leichten hellen Grau gehen können. Diese Nuancierung vermittelt das Gefühl des Vor- und Zurückspringens, es entsteht der Eindruck von Dreidimensionalität.

Gudrun Knapp orientiert sich an den von ihr gesetzten Regeln, das erfordert sowohl Ruhe als auch Konzentration. Die immer wiederkehrenden Bewegungen versetzen sie in einen meditativen Zustand und trotzdem passieren kleine „Missgeschicke“. Diese Irritationen werden aufgenommen, untersucht und dann entweder verworfen oder als neue Regel etabliert. Diese Offenheit für “Fehler” ist der entscheidende Indikator für die Entwicklung ihrer Arbeiten, die keine Darstellung abstrahierter gegenständlicher Situationen sind. Sie erinnern eher an wissenschaftliche Versuchsreihen und die logische Konsequenz ist der Verzicht auf Titel. Das räumt dem Betrachter Spielraum für Assoziationen ein und lässt der Fantasie viel Raum.

Stefanie Sauerhöfer
Kunsthistorikerin M.A.